Vorurteile

Im zarten Alter von etwa 8 Jahren habe ich gelernt, was Vorurteile sind und dass man sich aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes keine Meinung von jemandem machen darf. Was passiert ist? Ich erzähle es euch. Mein Bruder hat sein Studium (er ist Tierarzt) abgeschlossen und wurde in ein kleines Dorf in der Nähe unseres Wohnortes versetzt. Meine Mama, meine Schwester und ich sind übers Wochenende zu ihm gefahren, um das kleine Häuschen, das ihm zugewiesen wurde, zu putzen und ihm beim Umzug zu helfen. Außer uns vier war noch jemand zum Helfen da: ein junger Mann, groß, durchtrainiert, tätowiert, Glatze. Meine Mama war höflich aber kühl zu ihm, hat ihren Geldbeutel und die Wertgegenstände versteckt und war immer in seiner Nähe, wenn er das Häuschen betrat. Er hat geholfen die schweren Möbel reinzutragen, hat sich freundlich verabschiedet und ist am Abend gegangen. Als wir nur noch unter uns waren, hat meine Mutter meinen Bruder auf den jungen Mann angesprochen und ihn gefragt, ob er denn keine Angst hätte, jemanden „wie ihn“ um Hilfe zu bitten. Schließlich weiß man ja, dass nur „Knasties“ Tatoos und eine Glatze haben. Mein Bruder fing zu lachen an und erklärte ihr, dass der junge Mann ein Kollege von ihm ist und dass seine Glatze, sowie seine Tatoos definitiv kein Hinweis seien, dass er im Gefängnis saß.


Ich habe mir damals vorgenommen, dass ich jemanden erst kennen lernen und mit ihm eine Unterhaltung führen werde, bevor ich mir ein fertiges Bild aufgrund seines Äußeren über ihn mache. Ich habe mir meine Offenheit den Menschen gegenüber erhalten und hatte dadurch oft in meinem Leben Gelegenheit, großartige „nonkonforme“ Menschen kennen lernen zu dürfen.


Es gibt unzählige Artikel und Bücher über Vorurteile und alle haben sie eines gemeinsam. Sie klären auf! Darüber, wie Voreingenommenheit anderen Menschen gegenüber aufgrund ihrer Herkunft, sozialem Status und äußerem Erscheinungsbild in den Köpfen der Menschheit entstehen. Aber auch darüber, wie man dem zuvorkommen und mit den eigenen Vorurteilen umgehen kann. Jeder Mensch auf dieser Welt ist einzigartig und obwohl die Menschen dazu neigen, Gruppen mit ähnlich denkenden Menschen zu bilden und sich oft auch durch ihr Erscheinungsbild damit identifizieren, ist ein einschlägiges Äußeres nicht unbedingt ein untrügbares Indiz für eine bestimmte Lebenseinstellung.

Aufgeschlossen anderen Menschen zu begegnen bereichert das Leben ungemein. Das bedeutet nicht, dass man sich jedem Fremden voller Vertrauen öffnen muss. Aufgeschlossen sein bedeutet jemandem ohne Vorurteile und Schubladendenken zu begegnen. Natürlich trifft man im Leben viele Menschen, deren Weltsicht nicht mit unserer übereinstimmt, aber wenn man anderen Meinungen eine Daseinsberechtigung zugesteht und versteht, dass jeder durch seine Herkunft, sein Umfeld und seine Erlebnisse geprägt ist, bietet das einen wunderbaren Zugang zu anderen Blickwinkeln, die wir (ebenso geprägt durch unsere Herkunft Umfeld und unsere Erlebnisse) nie entwickelt hätten. Das kann bei der Lösungsfindung in schwierigen Situationen sehr hilfreich sein. Oft kann ein Blickrichtungswechsel neue Wege aufzeigen und zur einfacheren und oft auch besseren Lösung von Problemen verhelfen.


Probleme stellen Hindernisse dar, die überwunden oder umgangen werden müssen, um von einer unbefriedigenden Ausgangssituation in eine befriedigendere Zielsituation zu gelangen. Probleme können unterschiedlicher Ausprägung sein, die je nach Situation und eigener Empfindung von unterschiedlichen Personen auch unterschiedlich wahrgenommen werden. Während für manche eine Aufgabe unüberwindbar scheint, verfahren wiederum andere mit einer zu bewundernden Leichtigkeit damit. Woran das liegt? Je nach Art der Aufgabe, sicherlich auch an den Begebenheiten des Einzelnen, aber hauptsächlich an der jeweiligen eigenen Art, solche Schwierigkeiten zu betrachten und anzugehen. Ich sage nichts neues wenn ich beteuere, dass Menschen, von denen man behauptet in sich selbst zu ruhen und einen offenen Geist zu haben, schneller zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gelangen als Menschen, die unruhig, hektisch und sehr in der eigenen Vorstellung begrenzt sind. Zu welcher Sorte Mensch der einzelne gehört hängt nicht nur von der Erziehung und vom Charakter ab, sondern auch von der eigenen Bereitschaft offen und zugänglich zu sein. Man kann selber entscheiden, wie man solchen Schwierigkeiten begegnet. Wenn man sie als unüberbrückbaren tosenden Strom ansieht, das alles überrollt, dann wird eine distanzierte Perspektive der Situation meist schwer fallen und das versperrt oft auch die Sicht auf einen suffizienten Ausgang. Aber wenn man sie als eine Herausforderung betrachtet, die einem die Möglichkeit bietet neue, kreative Wege zu suchen und dabei Neues über sich selbst zu erfahren, dann verlieren sie oft ihre heikle Wirkung und auch Lösungen finden sich viel leichter. Im Prinzip ist es eben genauso, wie mit den Vorurteilen. Offenheit und ein aufgeschlossener Umgang mit Menschen und Situationen erleichtern das tägliche Leben und können bisher nicht entdeckte, wunderbare Seiten in uns zum Vorschein bringen.

Cynthia Chyba

Authorin

Unterstützung

Du findest meine Arbeit und Inhalte wertvoll, dann kannst du gerne mich unterstützen!

Nach oben scrollen